Stellungnahme zu russischer Propaganda

Seitdem Russland am 24. Februar 2022 seinen Angriffskrieg gegen die Ukraine auf das ganze Land ausgeweitet hat, stellen Historikerinnen und Historiker aus der Osteuropäischen Geschichte ihr Wissen einem breiten Publikum zur Verfügung – in sozialen Medien, Printmedien, Rundfunk, und Fernsehen sowie auf öffentlichen Veranstaltungen. Es handelt sich dabei nicht um das spezielle Wissen aus Fachkontroversen, die innerhalb der Wissenschaft geführt werden, sondern um einen Konsens, den es über die Geschichte der ukrainischen Nationsbildung, die Gewaltgeschichte der Sowjetunion und Putins allerjüngste Geschichtslügen, Propaganda und neoimperiale Politik gibt.

 

Die Resonanz auf dieses Wissensangebot ist einerseits eindrucksvoll. Das lässt sich mit Blick auf zahlreiche öffentliche Vorträge, aber auch die mediale Repräsentanz der Osteuropäischen Geschichte sagen. Zugleich stößt die Information der Wissenschaft aber auch an Grenzen: in sozialen Medien sowie unter bestimmten politischen Akteuren und Intellektuellen halten sich hartnäckig Ansichten zum östlichen Europa der jüngsten Zeitgeschichte, die wie eine Entlehnung aus Putins Propaganda-Arsenal klingen. Die Wissenschaft hat sie oft widerlegt. Hier sei auf zwei dieser Widerlegungen verwiesen:

 

Franziska Davies: Desinformationsexpertin. Russland, die Ukraine und Frau Krone-Schmalz, online abrufbar: https://zeitschrift-osteuropa.de/blog/desinformation/

Klaus Gestwa: Thesencheck: Diese 8 Behauptungen über den Krieg in der Ukraine sind falsch, online abrufbar: https://www.youtube.com/watch?v=6GqWDhHzRdo

 

Zuletzt hat sich gezeigt, dass das mediale Engagement der Osteuropäischen Geschichte in der Auseinandersetzung mit Geschichtspropaganda nicht hinreichend ist. Zivilgesellschaftliche Initiativen vor Ort verdienen die Unterstützung der Geschichtswissenschaft. Wir zitieren eine von Franziska Davies verfasste und am 21. Februar 2024 auf X (@EFDavies) veröffentlichte Stellungnahme, die der VOH voll und ganz unterstützt:

 

„Mit großer Irritation haben wir zur Kenntnis genommen, dass der Oberbürgermeister von Kamenz, Roland Dantz, für Mittwoch, den 21. 2. 2024, eine Pressekonferenz angekündigt hat, in der er ‚Verhandlungen‘ mit Russland zur Beendigung des Kriegs gegen die Ukraine fordert. Aus unserer Sicht als Osteuropa-Fachleute sollten die Initiatoren der Pressekonferenz mit folgenden Punkten konfrontiert werden. 1) Das offen erklärte Kriegsziel der russischen Regierung ist seit Februar 2022 unverändert: es geht um die Zerstörung der Ukraine als Staat und Nation. Jeder Appell, Verhandlungen aufzunehmen, muss sich mit dieser Realität auseinandersetzen und die Frage beantworten: Worüber soll die Ukraine verhandeln, wenn sie vernichtet werden soll? 2) Die Ereignisse in den russisch besetzten Gebieten zeigen, dass ein vermeintliches ‚Einfrieren‘ des Kriegs kein Ende der Gewalt und des Sterbens bedeutet. Die russische Besatzungsmacht in der Ukraine treibt mit brachialer Gewalt ein Programm der De-Ukrainisierung und Russifizierung voran. Das beinhaltet nicht nur die gezielte Zerstörung ukrainischer Kulturgüter wie Museen, Bibliotheken, Denkmälern und ukrainischen Büchern, sondern auch die Ermordung von Ukrainer*innen, Vergewaltigungen, Folter und das Errichten von so genannten ‚Filtrationslagern‘. Dies beinhaltet außerdem die massenweise Verschleppung ukrainischer Kinder nach Russland. Gemäß der UN-Konvention von 1948 begeht Russland damit einen Genozid in der Ukraine. 3) Der Angriffskrieg Russlands ist nicht nur ein Angriff auf die Ukraine, sondern auch ein Angriff auf die europäische Friedensordnung. Russlands Regierung versucht mit Gewalt die Grenzen eines souveränen Staates zu ändern. Wenn das Modell Schule macht, einen Staat mit militärischen Mitteln zu ‚Verhandlungen‘ über sein Existenzrecht zu zwingen, wird die Welt für uns alle unsicherer und es werden zukünftige Kriege in Europa wahrscheinlicher. 4) Kriege enden meistens am Verhandlungstisch. Doch sie enden nicht nur am Verhandlungstisch. Die militärische Situation auf dem Schlachtfeld definiert die Rahmenbedingungen für politische Verhandlungen. Es gibt keinen Gegensatz zwischen Waffenlieferungen und Verhandlungen – im Gegenteil, Waffenlieferungen können perspektivisch die Ukraine überhaupt erst in eine starke Verhandlungsposition gegenüber Russland bringen. 5) Kurz- und auch mittelfristig besteht die Gefahr, dass Russland jedes Abkommen über eine Waffenruhe oder ein vermeintlichen ‚Einfrieren‘ des Konflikts nutzt, um sich militärisch zu erholen, um dann einen erneuten Angriff auf die nicht-besetzten Teile der Ukraine zu starten. Als Osteuropa-Fachleute nehmen wir daran Anstoß, dass die Stadtverwaltungen mehrerer deutscher Städte sich als Multiplikatoren russischer Desinformation betätigen. So wurden z.B. die wissenschaftlich nicht haltbaren Behauptungen des Autors Patrik Baab auf den Seiten der Stadtverwaltung Kamenz direkt reproduziert. Ein Vorschlag aus der wissenschaftlichen Community, eine Veranstaltung mit ukrainischen Fachleuten auszurichten, wurde jedoch ausgeschlagen. Kürzlich trat mit Unterstützung des Oberbürgermeisters in Freiberg in städtischen Räumen abermals Patrik Baab auf, diesmal gemeinsam mit dem russischen Botschaftsrat Miljutin. Beide konnten an diesem Abend unwidersprochen Kreml-Narrative und russische Kriegspropaganda verbreiten. Die Desinformation von Herrn Baab und die Meinungen einiger Oberbürgermeister als Privatpersonen sind vom Recht auf Meinungsfreiheit geschützt. Allerdings sind städtische Institutionen der Neutralität verpflichtet und dienen allen Bürgern. Sie dürfen sich diese Positionen nicht zu eigen machen.“

 

Die Osteuropäische Geschichte möchte Wissen vor Ort in Gespräche einbringen. Der VOH unterstützt die Initiative Osteuropa vor Ort: Kolleginnen und Kollegen aus der Osteuropäischen Geschichte erklären sich bereit, vor Ort ins Gespräch zu gehen. Wir hoffen, dass dieses Gesprächsangebot auf zahlreiche Nachfragen stößt und sich damit neue Wege des Wissenstransfers in die öffentliche Diskussion eröffnen. Im Folgenden findet sich eine Liste von Kolleg*innen, die für lokale Veranstaltungen zur Verfügung stehen und gerne kontaktiert werden können:

 

 

 

Aust, Martin, Prof. Dr., Universität Bonn, martin.aust@uni-bonn.de, NRW, Sachsen-Anhalt, Thüringen, Sachsen.

Bönker, Kirsten, PD Dr., Universität zu Köln, kirsten.boenker@uni-koeln.de, Westen, Norden.

Felder, Björn M., Dr. phil., Universität Göttingen, bfelder@uni-goettingen.de, Norden.

Florin, Moritz, PD Dr., Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg, moritz.florin@fau.de, Bayern, vor allem Franken.

Happel, Jörn, Prof. Dr., Helmut-Schmidt-Universität der Bundeswehr Hamburg, happelj@hsu-hh.de, Norden.

Henning, Detlef, M. A., Nordost-Institut an der Universität Hamburg (Lüneburg), d.henning@ikgn.de, Norden.

Herzberg, Julia, Prof. Dr., Leibniz-Institut für Geschichte und Kultur des östlichen Europa (GWZO), Universität Leipzig, , julia.herzberg@uni-leipzig.de, Osten, Süden.

Kuhr-Korolev, Corinna, Dr., Leibniz-Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam, kuhr-korolev@zzf-potsdam.de, Berlin-Brandenburg.

Petersen, Hans-Christian, Dr., BKGE und Carl von Ossietzky Universität Oldenburg, hans-christian.petersen@bkge.uni-oldenburg.de, Norden.

Pietrow-Ennker, Bianka, Prof. em. Dr. Universität Konstanz, bianka.pietrow-ennker@uni-konstanz.de, Norden, Süden, Westen, Osten.

Röger, Maren, Prof. Dr., Leibniz-Institut für Geschichte und Kultur des östlichen Europa (GWZO), Universität Leipzig, maren.roeger@leibniz-gwzo.de, Osten.

Rohde, Martin, Dr., Universität Wien, Österreich, martin.rohde@univie.ac.at, Österreich.

Rolf, Malte, Prof. Dr., Universität Oldenburg, Nordwestdeutschland, malte.rolf@uni-oldenburg.de, Nordwestdeutschland.

Rupprecht, Tobias, Dr, Freie Universität Berlin, tobias.rupprecht@fu-berlin.de, Osten.

Saal, Yuliya, Dr., Leibniz-Institut für Zeitgeschichte München-Berlin, saal@ifz-muenchen.de, Bayern.

Schattenberg, Susanne, Direktorin Prof. Dr., Forschungsstelle Osteuropa an der Universität Bremen, schattenberg@uni-bremen.de, Bremen und umzu.

Schenk, Benjamin, Prof. Dr., Universität Basel, benjamin.schenk@unibas.ch, Südwestdeutschland (Freiburg/Br., Karlsruhe, Konstanz).

Schierle, Ingrid, Akademische Mitarbeiterin, Universität Tübingen, ingrid.schierle@uni-tuebingen.de, Süden.

Struve, Kai, PD Dr. phil., Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg, kai.struve@geschichte.uni-halle.de, Osten, Norden.

Tönsmeyer, Tatjana, Prof. Dr., Universität Wuppertal, toensmeyer@uni-wuppertal.de, Westen (NRW) und Osten (Berlin, Brandenburg).

Troebst, Stefan, Prof. i. R., ehemals GWZO Leipzig/Universität Leipzig, stefan.troebst@snafu.de, Berlin-Brandenburg.

Urbansky, Sören, Prof. Dr., Ruhr-Universität Bochum, soeren.urbansky@rub.de, NRW, Berlin, Brandenburg, Schleswig-Holstein, Hamburg.

Vulpius, Ricarda, Prof. Dr., Universität Münster; ricarda.vulpius@uni-muenster.de, NRW, Osten.

Winning, Alexa, Dr., Universität Tübingen, alexa.vonwinning@uni-tuebingen.de, Raum Stuttgart.

 

 

 

18. März 2024

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