02. März 2021
Als VertreterInnen der Fachverbände für Osteuropäische Geschichte, Ost- und Südosteuropakunde sowie für Turkologie, Osmanistik und Türkeiforschung danken wir für die von der DFG bereits eingeleiteten Maßnahmen und Möglichkeiten zur erweiterten Forschungsförderung während der Covid 19-Pandemie. Es ist uns bewusst, dass damit bereits große Anstrengungen unternommen werden.
Immerhin möchten wir die DFG angesichts der anhaltenden, höchst außergewöhnlichen Herausforderungen dennoch bitten, noch weitere entsprechend außerordentliche Schritte zu bedenken. Die DFG führt die Arbeit der 1920 gegründeten Notgemeinschaft der deutschen Wissenschaft fort, deren Hauptanliegen es war, in wirtschaftliche Not geratene WissenschaftlerInnen materiell zu unterstützen. In der derzeitigen, nun bald ein Jahr andauernden Notsituation erscheint es angebracht, dass sich die DFG auf diese Priorität der Unterstützung des wissenschaftlichen Nachwuchses ohne feste Stellen und in unverschuldeten Notlagen zurückbesinnt.
Inzwischen werden mehr und mehr Wirtschaftszweige mit staatlichen Hilfsprogrammen bedacht. Ähnlich wirkungsvolle und großzügige Regelungen sind im Bereich der Wissenschaft und insbesondere im vulnerablen Segment der zeitlich befristeten Projektarbeit gleichermaßen dringend wünschenswert, stehen jedoch noch weitgehend aus.
Wie auch in anderen Weltregionen außerhalb Westeuropas sind im östlichen Europa sowie in der Türkei, dem Kaukasus und Zentralasien für westeuropäische ForscherInnen nun seit fast zwölf Monaten aus unterschiedlichen Gründen die Möglichkeiten für nachhaltige wissenschaftliche Arbeit in Archiven und Bibliotheken sehr eingeschränkt. Digitalisate von Archivalien oder Büchern sind hier noch weniger auch aus der Ferne zugänglich als in anderen Regionen. Daher möchten wir Sie bitten, möglichst unbürokratisch und umfänglich durch automatische und adäquate, für die ganze Dauer dieser Ausnahmesituation geltende Verlängerungen möglichst alle laufenden Projekte zu unterstützen. Wir bitten deswegen auch um eine Berücksichtigung von Projekten, die sich in der kostenneutralen Verlängerung befinden. Manche Forschungsprojekte starten – etwa aufgrund der unsicheren Lebensumstände von NachwuchswissenschaftlerInnen – später als ursprünglich geplant. Zu dem Zeitpunkt als die kostenneutrale Laufzeitverlängerung gewährt wurde, war in vielen Fällen noch nicht mit den Behinderungen der Forschungsarbeit durch Covid-19 zu rechnen. Dennoch sind die BearbeiterInnen dieser Projekte ebenso von den Folgen der Pandemie betroffen, wie alle anderen auch, sie sind aber von den Verlängerungsregelungen der DFG ausgeschlossen.
Wir bitten auch um Verständnis dafür, dass viele in Projektanträgen zugesagte Deliverables – sowohl Monografien als auch Aufsätze – nicht allein wegen der mit den Recherchereisen verbundenen Schwierigkeiten, sondern auch wegen der durch Care-Aufgaben und „Home Schooling” bedingten Verzögerungen wahrscheinlich nur sehr zeitverzögert und damit häufi g nicht mehr im Rahmen der Projektlaufzeit abgeschlossen werden können. Wie bereits der Deutsche Hochschulverband festgestellt hat, publizieren gerade Forscherinnen durch die erschwerten privaten Rahmenbedingungen erheblich weniger, was wiederum Karrierenachteile bedeutet. Wünschenswert wäre daher auch, dass bei der Evaluation der Projektergebnisse und bei Projektanträgen in den nächsten Jahren diese Problemlage berücksichtigt werden würde.
Wir gehen davon aus, dass eine Unterstützung der in Projekten beschäftigten WissenschafterInnen nur mit der Bitte um eine über die laufenden Zusagen hinausgehenden außerordentlichen Unterstützung von Bund und Ländern möglich sein wird, und bitten Sie deswegen eindringlich, diesen Weg zu beschreiten und sich bei der Politik aktiv für die Zuweisung von zusätzlichen Finanzmitteln zur Abfederung der Pandemiefolgen einzusetzen. Das werden wir im Rahmen unserer Möglichkeiten ebenfalls tun.
Vorstand des Verbandes der OsteuropahistorikerInnen e. V. (VOH)
Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde e. V. (DGO)
Präsident der Südosteuropa-Gesellschaft e. V. (SOG)
Vorstand der Gesellschaft für Turkologie, Osmanistik und Türkeiforschung e. V. (GTOT)
11. Februar 2021
Gemeinsame Stellungnahme der DGO, des Verbandes der deutschen Slavistik, der Südosteuropa-Gesellschaft und des VOH zur Abfederung der Negativfolgen der Corona-Pandemie:
Die Corona-Pandemie hat tiefgreifende Auswirkungen auf die Forschung und stellt, wie die Stellungnahme zur Situation von Promovierenden und Post-Docs vom Verband der Historiker und Historikerinnen Deutschlands am 22. Dezember 2020 in allgemeiner Form für die Geschichtswissenschaften feststellte, „den gesamten Wissenschaftsbetrieb vor massive Probleme“.
Wir, der Verband der Osteuropahistorikerinnen und -historiker e. V. und die Deutsche Gesellschaft für Osteuropakunde, die Südosteuropa-Gesellschaft und der Verband der deutschen Slavistik sehen die in Deutschland angesiedelte historische Osteuropaforschung und andere sich mit dem östlichen Europa befassende Disziplinen im Bereich der Geschichtswissenschaft, Slavistik, Geistes-, Kultur- oder Sozialwissenschaften vor einer existentiellen Herausforderung in einer Zeit stehen, in der zahlreiche Krisen (z. B. in Belarus, im Kaukasus, das Veto Bulgariens zur EU-Erweiterung) und Versuche, die „illiberalen Demokratien“ in Ostmitteleuropa zu festigen, in einem besonderen Maße fachliche Expertise und Deutungswissen dringend erforderlich machen.
Die durch die Corona-Krise hervorgerufenen Reisebeschränkungen verhindern faktisch seit einem Jahr archiv- und bibliotheksbasierte Recherchen, Feldforschung und nicht zuletzt Möglichkeiten, vor Ort die notwendigen Sprachkenntnisse zu vertiefen und werden sie aller Voraussicht nach auch noch im gesamten laufenden Jahr verhindern. Konnte 2020 eine Archiv- bzw. Recherchereise stattfinden, so waren die Nutzer:innen von erheblichen Einschränkungen der Benutzungsmöglichkeiten betroff en, was voraussichtlich auch 2021 der Fall sein wird. Moderne Instrumente wie Digitalisate oder methodische Ansätze wie Online Interviews können nicht für alle Fragestellungen genutzt werden. Dies bedeutet de facto, dass für knapp zwei Jahre keine archiv- oder bibliotheksbasierte Forschung stattfi nden kann. Notwendige fachliche Expertise kann nur sehr bedingt weiter ausgebaut werden.
In besonderem Maße sind hiervon durch Drittmittel geförderte Promovierende und Post-Docs betroff en, die innerhalb ihres bewilligten Projektes arbeiten müssen. Sie können ihre Aufgabenstellung und damit ihr Qualifi kationsprojekt auf Grund dieser Problemlage nicht oder nur sehr unzureichend bearbeiten. Diese Herausforderungen für den „wissenschaftlichen Nachwuchs“ werden darüber hinaus über die teilweise deutlich eingeschränkten Möglichkeiten der Kinderbetreuung und Anforderungen im Rahmen des „Home schooling“ nochmals deutlich erhöht.
In der Sorge, dass große Teile des derzeitigen „wissenschaftlichen Nachwuchses“ Projekte nicht oder nur unzureichend werden beenden können und dadurch ein wichtiger Teil gegenwärtig dringend benötigter Osteuropa-Expertise wegfallen wird, fordern wir private und staatliche Förderer auf, unbürokratisch, rechtzeitig und großzügig Verlängerungen für Projektförderungen, die von den aktuellen Beschränkungen betroff en sind, zu ermöglichen.
Vorstand des Verbandes der OsteuropahistorikerInnen e. V. (VOH)
Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde e. V. (DGO)
Vorstand des Verbandes der deutschen Slavistik
Präsident der Südosteuropa-Gesellschaft e. V