Sehr geehrte Frau Ministerin Stark-Watzinger, Bundesministerin für Bildung und Forschung,
als Vertretung der deutschen historischen Osteuropawissenschaft beobachten wir die Pläne des
Bundesministeriums für Bildung und Forschung auch nach der jüngsten Kabinettvorlage zur
Novellierung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes mit großer Sorge. Unsere Bedenken
beziehen sich auf die Situation und künftige Entwicklung der deutschen
Wissenschaftslandschaft insgesamt, aber auch auf die besondere Lage der
Osteuropawissenschaften. Folgende Punkte sind dabei entscheidend:
Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz wird seit Jahren und zurecht scharf kritisiert, zahlreiche
konkrete Reformvorschläge wurden vorgelegt. Das BMBF hat diese Vorschläge leider nicht
aufgenommen, sondern visiert nur eine punktuelle Veränderung an. Die geplante Neuregelung
von 4 plus 2 Jahren Befristung in der Post-Doc-Phase würde jedoch die bereits jetzt
hochproblematische Lage noch weiter verschlechtern. Die Befristungsdauer nach der
Promotion außerhalb von Professuren wird weiter reduziert, anstatt mehr Flexibilität für
unterschiedliche Beschäftigungsverhältnisse zu schaffen.
Grundsätzlich braucht es nach der Promotion planbare und verlässliche Karrierewege. Die
Verkürzung um zwei Jahre schafft keine wirkliche Veränderung in der individuellen
Lebensplanung. Sie beschränkt jedoch den Zeitrahmen, in dem die Vorbereitung auf eine W2
oder W3 Professur stattfinden kann, empfindlich.
Der Anspruch, ein umfassendes Forschungsprojekt in vier Jahren durchzuführen, ist allein
aufgrund der langen Bewilligungsfristen für Drittmittelanträge und sich stetig verlängernder eer-review-Zeiten für Publikationen, nur als realitätsfremd zu bezeichnen. Abgesehen von den
kaum zu überwindenden Hürden in der individuellen Karriereplanung wird auch die Forschung
leiden. Insbesondere die sogenannten Buchwissenschaften werden starke qualitative Einbußen
verkraften müssen. Das Befristungssystem, das durch die Novelle nicht verbessert, sondern
verschärft wird, führt zu einer hochproblematischen Engführung in der Wissenschaft.
Innovative und risikobehaftete Forschung ist nicht mehr möglich. Zudem untergraben die
Regelungen systematisch den Anspruch auf mehr Diversität in der Wissenschaft und
benachteiligen Frauen sowie Menschen mit Migrationshintergrund.
Statt einer kurzsichtigen Neuberechnung der Post-Doc-Phase sind deshalb umfassende und
grundlegende Reformen notwendig. Insbesondere ist eine deutliche Verbesserung der
Grundausstattung der Universitäten erforderlich. Unerlässlich dafür ist die Umschichtung von
Mitteln aus der Drittmittelförderung in die Grundausstattung, um Forschung und Lehre
zuverlässig finanzieren zu können.
Notwendig sind vor allem deutlich mehr Dauerstellen neben der Professur. Nur so ist die
beabsichtigte bessere Planbarkeit wissenschaftlicher Karrieren zu erreichen. Außerdem würde
so die dringend erforderliche Verbesserung der Bedingungen für Lehre und Forschung erreicht.
Und schließlich kann die Wissenschaft nur auf diese Weise wieder attraktiver für
hochqualifizierte Kräfte aus dem In- und Ausland werden.
Das Wissenschaftszeitvertragsgesetz allein kann dies nicht leisten. Deshalb ist hier eine enge
Zusammenarbeit mit den Ländern notwendig. Wir appellieren dringend an das BMBF, diese
Kooperation zu ermöglichen und gemeinsam mit den Ländern entsprechende Anreize für die
Hochschulleitungen zu schaffen, deutlich mehr Dauerstellen zu etablieren. Das aktuelle System
schafft Anreize in die gegenläufige Richtung und macht die Universität zu einem
ausgesprochen unattraktiven Arbeitsplatz.
Die historische Osteuropaforschung sieht bereits jetzt die negativen Auswirkungen des
Wissenschaftszeitvertragsgesetzes sehr deutlich. Vor dem Hintergrund des russischen
Angriffskrieges gegen die Ukraine und einer wachsenden sicherheitspolitischen Bedrohung
brauchen wir dringend mehr Fachkräfte für die Forschung und die Lehre an den Universitäten
sowie für Wissenschaftskommunikation und Politikberatung. Doch wenden sich immer mehr
kluge, motivierte und engagierte junge Menschen aufgrund der Struktur des universitären
Arbeitsmarktes von der Wissenschaft als Beruf ab. Das System verliert die Köpfe, die es dringend für sich gewinnen müsste. Die Misere des universitären Arbeitsmarktes ist ein
gravierender Hemmschuh für die nachhaltige und international konkurrenzfähige Entwicklung
des deutschen Wissenschaftssystems
08. April 2024
Digitales Kondolenzbuch Prof. Dr. Julia Obertreis
https://anteilnahme.online/juliaobertreis/
30. Oktober 2023
Nachruf auf Prof. Dr. Julia Obertreis
Am 11. Oktober 2023 ist Julia Obertreis viel zu früh, kurz nach ihrem 54. Geburtstag gestorben. Sie wird in der wissenschaftlichen Gemeinschaft der Osteuropa-Historikerinnen und Historiker eine große Lücke hinterlassen.
Julia Obertreis wurde am 28. September 1969 in Solingen geboren. Auf das Abitur 1988 folgte ihr Studium der Geschichte und Russistik an der Freien Universität Berlin. An der Staatlichen Universität St. Petersburg absolvierte sie 1993/94 zwei Auslandssemester. Der Metropole im russischen Norden sollte sie lebenslang eng verbunden bleiben. Reisen durch Russland und den postsowjetischen Raum führten sie bis nach Zentralasien. Auf ihre Promotion an der FU Berlin folgten Stationen wissenschaftlicher Mitarbeit und Assistenz zunächst in Bochum (2002 – 2004) und anschließend bei Dietmar Neutatz in Freiburg (2004 – 2012). Ihre Professur für Neuere und Neueste Geschichte mit dem Schwerpunkt Geschichte Osteuropas übernahm Julia Obertreis 2012 an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.
Die Innovationskraft des wissenschaftlichen Werkes von Julia Obertreis erhellt die Tatsache, dass beide Qualifikationsschriften grundlegende methodische Trends und konzeptionelle Weiterentwicklungen der Geschichtswissenschaft gleichermaßen widergespiegelt und befördert haben. Beide Arbeiten behandeln Orte und Räume, die sie selbst bereist und erforscht hat: St. Petersburg und Zentralasien. Eine Geschichtsschreibung ohne Ortskenntnis wäre Julia Obertreis widersinnig erschienen. Der spatial turn hat in beiden Qualifikationsschriften seine Spuren hinterlassen. In ihrer Dissertation, die von Klaus Meyer an der FU Berlin betreut wurde, hat sich Julia Obertreis mit der Geschichte des Wohnens und Lebens im Leningrad der 1920er und 1930er Jahre beschäftigt. Für diese Arbeit erhielt sie 2002 den Dissertationspreis der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde. Aus ihren Gesprächen und Interviews mit Zeitzeuginnen des Alltagslebens in Leningrad erwuchs ein ausgeprägtes Interesse an der Oral History, deren Methodik sie mithalf weiterzuentwickeln. So wie Geschichte für Julia Obertreis stets ort- und raumgebunden war, erschien sie gleichzeitig anthropozentrisch – und dies in einem doppelten Sinn. Julia Obertreis interessierte sich nicht nur für die Menschen in der Geschichte und ihre Erinnerungen. Der Satz, dass geschichtswissenschaftliche Erkenntnis sich allein im Gespräch unter Historiker*innen herstellt, war für Julia Obertreis nicht abstrakte Erkenntnistheorie, sondern gelebte Wissenschaftspraxis. Ihre Verbindung von Geschichtswissenschaft und Geselligkeit war beeindruckend, ansteckend, inspirierend und wird unvergessen bleiben.
In ihrer Freiburger Habilitationsschrift wandte sich Julia Obertreis der Geschichte russischer und sowjetischer imperialer Beherrschung Zentralasiens zu. Den langen Untersuchungszeitraum von der Mitte des 19. Jahrhunderts bis zum Ende der Sowjetunion bewältigte sie mit einer Konzentration auf die Geschichte von Baumwollanbau und Bewässerung. Julia Obertreis publizierte diese Forschungen 2017 unter dem Titel „Imperial Desert Dreams. Cotton Growing and Irrigation in Central Asia, 1860–1991“ in der Reihe „Kultur- und Sozialgeschichte Osteuropas“. Mit dieser Arbeit beteiligte sie sich an der weiteren Entwicklung der Umweltgeschichte, Kolonialgeschichte und Globalgeschichte. Wie schon in der Dissertation beschränkte Julia Obertreis sich nicht auf empirische Forschung, sondern verband ihre Arbeit mit einem hohen konzeptionellen Anspruch an sich selbst und intellektueller Neugierde auf neue Trends in der Geschichtswissenschaft. Daraus spricht auch die Entwicklung neuer Forschungsfelder auf ihrer Erlanger Professur. An der Friedrich-Alexander-Universität rückten die Mediengeschichte von Fernsehen und Radio und schließlich die Kulturgeschichte des Rauchens in den Fokus von Julia Obertreis. Ein Buchvorhaben über die Geschichte des Rauchens im östlichen Europa konnte Julia Obertreis leider nicht mehr umsetzen. Zuletzt hat sie sich beeinflusst durch die jüngsten politischen Ereignisse auch intensiv mit der Frage der Dekolonisierung der Osteuropaforschung auseinandergesetzt. Für sie war die längst überfällige Dezentrierung des wissenschaftlichen Fokus weg von Russland nicht nur ein wichtiges wissenschaftliches Paradigma, sondern auch gelebte Praxis – so zuletzt durch die zahlreichen Veranstaltungen, die sie seit der russischen Invasion organisiert hat, um ukrainischen Stimmen ein Gehör zu verleihen.
Ihre wissenschaftliche Bedeutung kam auch in der Wahrnehmung zahlreicher Ämter und Funktionen in der Wissenschaftsorganisation zum Ausdruck. Julia Obertreis war seit 2016 Mitglied des Editorial Board der Zeitschrift Slavic Review. Sie hat 2014 die Reihe „Kultur- und Sozialgeschichte Osteuropas / Cultural and Social History of Eastern Europa“ bei V&R unipress mitbegründet und seitdem mitherausgegeben. Der Deutschen Gesellschaft für Osteuropakunde diente sie als Sprecherin der Fachgruppe Geschichte (seit 2018) und seit 2013 Leiterin der Zweigstelle Erlangen/Nürnberg. In den wissenschaftlichen Beiräten des Deutschen Historischen Instituts Moskau, des Forschungsinformationsdienstes (FID) Ost-, Ostmittel- und Südosteuropa, der Forschungsstelle Osteuropa und des Gießener Zentrums Osteuropa war sie ein geschätztes Mitglied – dergleichen im Ausschuss des Verbandes der Historikerinnen und Historiker Deutschlands.
Im Verband der Osteuropahistorikerinnen und -historiker (VOH) e.V. hat sie von 2015 bis 2021 als erste Frau den Vorsitz innegehabt. Sie repräsentierte damit einen überfälligen Wandel im Fach der Osteuropäischen Geschichte. Als Julia Obertreis ihr Studium absolvierte, hatten allein Männer die Professuren im Fach inne. Diese Praxis sollte sich lange nicht ändern: Noch in den Berufungsverfahren unmittelbar zu Beginn des 21. Jahrhunderts ging die überwiegende Zahl der Rufe an männliche Kollegen. Julia Obertreis gehörte zu einer Avantgarde von Kolleginnen, deren Berufungen auf Professuren und feministisches Engagement das Fach auch in Hinblick auf mehr Diversität und Chancengleichheit geprägt haben. So hat sich auch wissenschaftliches und gesellschaftspolitisches Engagement für Julia Obertreis nie gegenseitig ausgeschlossen. Öffentlich hat sie sich besonders für den Kampf gegen die Klimakrise, für Europa und die Demokratie, sowie für die Sichtbarkeit von queeren Themen stark gemacht. Zuletzt galt ihr Einsatz vor allem Historiker*innen, die in der Ukraine vom Krieg betroffen waren und unter den Diktaturen in Belarus und Russland über keine wissenschaftliche Arbeitsmöglichkeit mehr verfügten. Während der Corona-Pandemie hat sich Julia Obertreis zudem mit Nachdruck für die Belange jüngerer Wissenschaftler*innen eingesetzt. Am Wissenschaftszeitvertragsgesetz, das jüngeren Kolleginnen und Kollegen die wissenschaftliche Karriereplanung erschwert, hat sie stets deutliche Kritik geübt. Dieses Engagement hat Julia Obertreis in ihrer Zeit als Vorsitzende auch in den VOH hineingetragen. Der Verband hat unter ihrem Vorsitz an Lebendigkeit und Stimmkraft gewonnen. Dabei hat Julia Obertreis stets ein feines Gespür für die Balance von wissenschaftlichem Ethos und gesellschaftspolitischem Engagement erkennen lassen. Ihre gesellige, Menschen inspirierende und verbindende Praxis hat das Verbandsleben des VOH im besten Sinne geprägt. Mitgliederversammlungen, Verleihungen der Epstein-Preise, Konferenzen und Workshops sowie Vorstandssitzungen hat Julia Obertreis mit ihrem den Menschen zugewandten Umgang ungemein bereichert.
Der VOH verneigt sich in tiefer Trauer vor dem Werk von Julia Obertreis, vermisst sie als Mensch und Kollegin und wird ihr stets ein ehrendes Gedenken bewahren.
Der Vorstand
26.10.2023
Erklärung des VOH zum Eckpunktepapier des BMBF zur Novelle des WissenZeitVG
Der VOH schließt sich vollumfänglich dem Statement des VHD zu den Eckpunkten des BMBF zur Novelle des WissZeitVG an.
Die Erklärung des VHD finden Sie hier:
24. März 2023
Solidaritätsadresse des VOH mit den Historikerinnen und Historikern der Ukraine vom 24. Februar 2023
Лист підтримки українським історикам від 24.02.2023
24-го лютого 2023 року минає рік від початку повномасштабної війни Росії проти України. Ми, історики, які досліджують країни Східної Європи, категорично засуджуємо російську агресію. Війна, яку веде Росія, є злочинною, а військові та найманці, керовані президентом Путіним та його режимом, не зупиняються перед навмисними вбивствами, зґвалтуваннями та катуваннями також цивільних осіб. Але усі військові злочини будуть ретельно задокументовані, а їхні призвідники не уникнуть покарання. За нинішньої ситуації ми висловлюємо цілковиту солідарність з нашими українськими колежанками і колегами, – як тими, які залишаються в Україні, так і тими, хто мусив виїхати за кордон. Дехто з них нині працює разом з нами на кафедрах та в інститутах у Німеччині, й ця співпраця є для нас надзвичайно продуктивною. Ми усебічно підтримуємо наших колежанок і колег у цей важкий для них час, сповнений тривог і страждань. Ми й надалі докладатимемо усіх зусиль, щоб захистити права українців на мирне та вільне життя в їхній суверенній державі та щоб забезпечити належні умови праці нашим українським колежанкам і колегам. Ми переконані, що в майбутньому наша співпраця з ними стане ще тіснішою. Слава Україні! Об’єднання істориків Східної Європи (VOH)
Solidaritätsadresse an die ukrainischen Historikerinnen und Historiker zum 24. Februar 2023
Am 24.02.2023 jährt sich der Beginn des großflächigen Angriffskrieges Russlands gegen die Ukraine.
Als Osteuropahistorikerinnen und -historiker verurteilen wir die russische Aggression aufs Schärfste. Die russische Kriegsführung ist verbrecherisch, und Militärs und Söldner, befehligt von Präsident Putin und seinem Regime, schrecken nicht davor zurück, auch Zivilistinnen und Zivilisten gezielt zu töten, zu foltern und zu vergewaltigen. Die Kriegsverbrechen werden genau dokumentiert, um später eine Strafverfolgung der Täter möglich zu machen.
Vor diesem Hintergrund erklären wir unsere volle Solidarität mit den Kolleginnen und Kollegen in der Ukraine, sowohl mit denen, die weiter in der Ukraine leben, als auch mit denen, die ins Ausland fliehen mussten. Einige arbeiten jetzt bei uns in Deutschland an Lehrstühlen und Instituten mit uns zusammen, was wir als große Bereicherung empfinden. In dieser für die Kolleginnen und Kollegen so entbehrungsreichen und leidvollen Zeit unterstützen wir sie nach vollen Kräften. Wir werden auch künftig mit Kopf und Herz dafür einstehen, die Rechte der Ukrainerinnen und Ukrainer auf ein friedliches, freies Leben in einem souveränen Staat zu verteidigen und möglichst gute Arbeitsbedingungen für unsere ukrainischen Kolleginnen und Kollegen zu schaffen. Wir sind überzeugt davon, dass wir künftig noch enger werden zusammenarbeiten können.
Slava Ukraini!
Der Verband der Osteuropahistorikerinnen und -historiker (VOH)
27. Februar 2023
Stellungsnahme des VOH zum Versuch von Gabriele Krone-Schmalz gegen ihre Kritikerin, die Osteuropahistorikerin Franziska Davies, mit juristischen Mitteln vorzugehen
Der VOH verurteilt den Versuch von Gabriele Krone-Schmalz, der Münchner Osteuropahistorikerin Franziska Davies Kritik an ihren Büchern, Vorträgen und Medienauftritten auf juristischem Wege zu untersagen. Franziska Davies ist eine durch Publikationen, Exkursionen und Lehrveranstaltungen ausgewiesene Kennerin der Geschichte des östlichen Europas. Sie befördert wissenschaftlich basiertes Wissen in das öffentliche Gespräch über Geschichte und Gegenwart des östlichen Europas und leistet damit einen elementaren Beitrag zum vielfach geforderten Transfer von Wissenschaft in Medien und Politik. Ihre öffentlichen Äußerungen sind nicht nur von der Wissenschafts- und Meinungsfreiheit gedeckt, sondern genügen sie auch den hohen Ansprüchen an Wissenschaftlichkeit, die wir im Fach Osteuropäische Geschichte an unsere Disziplin anlegen.
Der VOH erklärt sich mit der Historikerin Franziska Davies solidarisch. Wir hoffen, dass Frau Krone-Schmalz' Versuch, die auf wissenschaftlicher Erkenntnis basierende Kritik an ihren verzerrenden und falschen Darstellungen der Zeitgeschichte zu unterbinden, erfolglos bleiben wird.
11. November 2022
Der VOH schließt sich dem Aufruf zu einer Neubewertung der wissenschaftlichen Kooperation mit Aserbaidschan an
Wissenschaftliche Beziehungen zu Aserbaidschan neu bewerten
Ein Aufruf an Wissenschaftler:innen, wissenschaftliche
Einrichtungen
und Förderinstitutionen in Deutschland
(Stand: 28.09.2022)
In der Nacht zum 13. September griff Aserbaidschan mit einer breit angelegten militärischen Offensive das Staatsgebiet Armeniens an. Bei dieser neuen Aggression geht es nicht mehr um die umkämpfte Region Berg-Karabach; diese richtet sich unmittelbar gegen die Republik Armenien. Die aserbaidschanischen Streitkräfte sind bis zu 8 Kilometer in das Staatsgebiet Armeniens eingedrungen und positionieren sich auf strategisch wichtigen Höhenlagen. Die Forderungen, die Aserbaidschans Machthaber Ilham Alijew stellt, lassen sich in drei Punkten zusammenfassen:
Die provokative und militante Rhetorik Alijews wird begleitet durch den fortwährenden Beschuss armenischer Siedlungen in Berg-Karabach, durch den kontinuierlichen Vormarsch der aserbaidschanischen Streitkräfte und die damit verbundene Vertreibung der Armenier aus ihren Dörfern – die jüngste Vertreibung erfolgte nach der Übernahme des Latschin-Korridors mit den Dörfern Aghavno und Sus – sowie durch die Vernichtung armenischer kultureller Denkmäler. Hunderte getötete Soldaten, tote Zivilisten, aus ihrer vertrauten Umgebung weggerissene Kinder, Flüchtlinge, zerstörte Existenzen und vernichtetes Kulturgut – dies ist nunmehr der traurige Alltag in Berg-Karabach. Je länger diese Situation anhält, desto drastischer wird die humanitäre Notlage der Zivilbevölkerung dort, aber auch in den Grenzregionen Armeniens, die heute unter Beschuss stehen.
Diese Entwicklungen zeigen, dass das aserbaidschanische Regime eine günstige Gelegenheit ergreift, um Armeniens Süden einzunehmen. Dass dieser Plan auf der politischen Agenda Aserbaidschans steht, machte Alijew bei mehreren Gelegenheiten klar: „[…] Yes, West Zangezur is our ancestral land. I said that we have to return there. I said that ten years ago. All my speeches are available in the media. I said that it is the land of our ancestors, and we must return there. We will and we are already returning there. No one can stop us.” (Alijew, am 10. Mai 2021)
Während die westlichen Medien die Lage nur zögernd kommentieren, hat die Vorsitzende des US-Repräsentantenhauses Nancy Pelosi die jüngste Aggression Aserbaidschans während ihres Besuchs in Armenien scharf kritisiert und die US-Unterstützung für Armenien zugesichert. Deutliche Worte fand auch der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses des Deutschen Bundestages Michael Roth, der neue Chargé d’Affaires der Deutschen Botschaft in Jerewan Erik Tintrup zeigte sich erschüttert von den Bildern der Zerstörung, die er im touristischen Zentrum Jermuk (Armenien) sehen musste.
Armenien steht vor einer existenziellen Gefahr, ohne handfeste – militärische und/oder politische – Unterstützung. Doch angesichts des auf der politischen Ebene langsam einsetzenden Umdenkens steht auch die akademische Welt in der Verantwortung, ein Zeichen gegen Krieg und Gewalt und für den Frieden zu setzen. Wir, die Unterzeichnenden, appellieren an Sie und Ihre Institution:
Wir wenden uns an Sie in der festen Überzeugung, dass Sie das Leben unschuldiger Menschen, das Recht der Kinder, in Frieden und Sicherheit aufzuwachsen, das vor einer Vernichtung stehende jahrhundertealte armenische kulturelle Erbe höher schätzen, als die Kooperation mit Institutionen, die den menschenverachtenden Krieg Aserbaidschans mittragen. Wir appellieren an Sie, westliche Werte und Menschenrechte über den möglichen kurzfristigen wirtschaftlichen und wissenschaftlichen Nutzen mit aserbaidschanischen Institutionen zu stellen, jegliche wissenschaftliche Zusammenarbeit mit diesen ab sofort einzustellen und langfristig zu überdenken.
Link zur Petition: https://zeitgeschichte-online.de/node/61019
Unterzeichnende (wird laufend ergänzt)
Prof. Dr. Martin Schulze Wessel, Lehrstuhl für Geschichte Ost- und Südosteuropas, LMU, München
Prof. i. R. Dr. Stefan Troebst, Universität Leipzig
Prof. Dr. Andreas Renner, Lehrstuhl für Russland-Asien-Studien, LMU, München
Prof. Dr. Julia Herzberg, Professur für Geschichte Ostmitteleuropas/Russlands in der Vormoderne, LMU, München
Prof. Dr. Kornelia Kończal, Juniorprofessorin für Public History, Bielefeld
Dr. Tessa Hofmann, Philologin, Genozidwissenschaftlerin und Autorin, Berlin
Dr. Arpine Maniero, Osteuropahistorikerin, München
Dr. Leo Ensel, Konfliktforscher und interkultureller Trainer, Oldenburg
Dr. Hayk Martirosyan, Historiker, Potsdam
Jochen Mangelsen, Publizist, Berlin
Dr. Harutyun G. Harutyunyan, Theologe und Religionswissenschaftler, Jerewan
Dr. Anahit Avagyan, Theologin, Eichstätt
Dr. Martina Niedhammer, Osteuropahistorikerin, München
Reinhard Frötschner, Osteuropahistoriker, Regensburg
10. Oktober 2022
Der VOH beteiligt sich an einer Konferenz über neue Herausforderungen der Geschichtswissenschaft angesichts Russlands Krieg gegen die Ukraine an der Universität Lublin
10. Oktober 2022
Erklärung des VOH zu Putins Angriffskrieg in der Ukraine
Der VOH verurteilt Putins völkerrechtswidrigen Angriffskrieg in der Ukraine. Unsere Gedanken sind bei den Ukrainerinnen und Ukrainern, die ihr Land und die Prinzipien der europäischen Friedensordnung
verteidigen. Ihnen gilt unsere Solidarität. Zugleich drücken wir unseren Respekt vor allen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern wie auch der Zivilgesellschaft in Russland aus, die Putins Krieg
verurteilen.
27. Februar 2022
Stellungnahme des VOH zur Rede des Präsidenten Russlands Vladimir Putin vom 21. Februar 2022
Am 21. Februar 2022 hat der Präsident der Russländischen Föderation Vladimir Putin die selbsternannten „Volksrepubliken“ von Luhansk und Donezk anerkannt und die schon seit Wochen an der Grenze aufmarschierten Truppen Russlands dorthin in Marsch gesetzt. Nach der Annexion der Krim 2014 handelt es sich um eine neuerliche Verletzung der europäischen Friedensordnung. In einer einstündigen Rede hat der russische Präsident dabei sein Geschichtsbild erläutert und die Beweggründe seiner aktuellen Ukrainepolitik offengelegt.
Putin nahm sich eine geschlagene Stunde Zeit, um über die Russische Revolution 1917, die Gründung der Sowjetunion, den Zweiten Weltkrieg, den Kalten Krieg, das Ende der Sowjetunion und die jüngste Zeitgeschichte seit 1991 zu sprechen. Einen roten Faden seiner emotional aufgewühlten Rede stellt das russisch-ukrainische Verhältnis dar. Wobei Putin dies nicht so formulieren würde, da seine Rede auf die Kernaussage hinauslief, der Ukraine das Existenzrecht als Nation und Staat abzusprechen. Es würde zu weit führen, hier alle historischen Fehler der Rede zu besprechen. Doch die Konstituierung der ukrainischen Nation als eine fixe Idee Lenins abzutun, steht in einem krassen Widerspruch zu allen Erkenntnissen, die Historikerinnen und Historiker sowohl in Russland und der Ukraine als auch Europa und den USA in den vergangenen zwei Jahrhunderten zusammengetragen haben. Die Ukraine hat ihren festen Ort in der Geschichte der Nations- und Staatsbildungen in Europa. Es lässt auch erschreckt aufhorchen, wenn Putin grundsätzlich Nationsbildungen und Staatsgründungen in ehemaligen Regionen des zusammengebrochenen Zarenreiches am Ende und nach dem Ersten Weltkrieg als eine fehlerhafte Laune der Geschichte abtut.
Seit dem Beginn seiner vierten Präsidentschaft 2018 hat Putin sich wiederholt in langen Texten zu historischen Fragen geäußert, zunächst zum Zweiten Weltkrieg und sodann zur Geschichte Russlands und der Ukraine. Der Rollenwechsel vom Staatsoberhaupt zum Historiker, der angeblich Archivdokumente studiert und in Anspruch nimmt, in ihnen neue geschichtswissenschaftliche Erkenntnis zu finden, war von Anfang an befremdlich. Besorgniserregend ist die jüngste Entwicklung Putins, wenn der selbsternannte Historiker einem Nachbarland die historische Existenzberechtigung abspricht, seine Truppen an den Grenzen des Nachbarlandes konzentriert und nach der Krim nun mit Luhansk und Donezk weitere Regionen der Ukraine völkerrechtswidrig aus dem Land herauslöst. Putin beansprucht nicht mehr nur, Geschichte zu machen, sondern auch Geschichte vermeintlich wissenschaftlich zu schreiben, die in einem Zirkelschluss wiederum seine Politik anleitet. In seiner gestrigen Rede gab er sich als Politiker zu erkennen, der die Diplomatie zur Seite gelegt hat, um offenbar in einer historischen Mission aufzugehen, die ihn obsessiv zu beschäftigen scheint.
Wir appellieren, die Erforschung der Geschichte Historikerinnen und Historikern zu überlassen und die Vergangenheit nicht für die Legitimation von Grenzverletzungen, Annexion und Krieg zu missbrauchen. Geschichte als Argument für Grenzrevisionen stellt die völkerrechtlichen Grundsätze der europäischen Friedensordnung in Frage, auf die Europa sich in der OSZE, zu der auch Russland gehört, geeinigt hat.
22. Februar 2022
Erklärung zur drohenden Schließung von Memorial
Die Generalstaatsanwaltschaft der Russländischen Förderation hat am 11. November 2021 der Menschenrechtsorganisation Memorial eine Vorladung zu einem Termin am Obersten Gericht am 25. November 2021 zugestellt. Unter Verweis auf angebliche Verstöße Memorials gegen das Gesetz über "Ausländische Agenten" soll das Gericht über die Auflösung von Memorial-International und das Menschenrechtszentrum Memorial entscheiden.
Menschenrechtsaktivist*innen haben 1989 in der Sowjetunion Memorial gegründet. Zu den Gründungsmitgliedern gehörten der Friedensnobelpreisträger Andrej Sacharow und die Germanistin und Historikerin Irina Scherbakowa. Memorial hat in der Geschichtsschreibung der Sowjetunion im Allgemeinen und des Stalinismus im Besonderen wertvolle Impulse verliehen. Die Recherche die Namen der Opfer stalinistischen Terrors, Arbeiten zum sowjetischen Massenverbrechen von Katyn an polnischen Offizieren und zu den sowjetischen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeitern im nationalsozialistischen Deutschland gehören zu den zahlreichen Verdiensten Memorials um die geschichtswissenschaftliche Forschung. Mit diesen Arbeiten und der Anlage eines Archivs, das schriftliche Zeugnisse und materielle Quellen wie Alltagsgegenstände aus dem Gulag umfasst, hat sich Memorial als unverzichtbare wissenschaftliche Institution etabliert. Darüber hinaus zeichnet sich Memorial durch eine breite internationale Vernetzung aus, von der auch die wissenschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Beziehungen zwischen Russland und Deutschland profitiert haben. Schließlich ist Memorial über seine anfängliche Befassung mit der sowjetischen Geschichte hinaus zu einer wichtigen Stimme in gegenwärtigen Menschenrechtsfragen geworden.
Der Antrag der Generalstaatsanwaltschaft Russlands, Memorial aufzulösen, zielt auf die Zerstörung einer wissenschaftlichen Institution und eines Anwaltes der Menschenrechte in Russland. Er stellt den Versuch dar, die Gesellschaft Russlands ihres Gedächtnisses zu berauben, und steht im Widerspruch zur Europäischen Menschenrechtskonvention.
Der VOH ruft die Generalstaatsanwaltschaft Russlands auf, den Antrag auf Auflösung von Memorial zurückzuziehen.
16. November 2021
VOH unterstützt internationalen Aufruf gegen die Schließung von Memorial
Der VOH hat sich an dem internationalen Aufruf gegen die Schließung von Memorial beteiligt. Beide Aufrufe sind auf der Website des DGO veröffentlicht (End Assault on Memorial, Defend Memorial).
Fristverlängerung des Epstein-Preises
In den zurückliegenden Jahren hat es sich bewährt, in geraden Jahren den Epstein-Preis des VOH auf dem HIstorikertag des VHD zu verleihen. Wie so vieles andere hat die Corona-Pandemie auch diesen Rhythmus durchbrochen. Da der VOH in diesem Jahr den Epstein-Preis verliehen hat und der nächste Historikertag in das Jahr 2023 fallen wird, verlängert der VOH die anstehende Ausschreibung des Epstein-Preises. Von Oktober 2021 bis zum 30. September 2022 können Dissertationen aus den Jahren 2020 - 2022 vorgeschlagen werden. Der Vorstand wird im Frühsommer 2022 noch einmal rechtzeitig auf die verlängerte Ausschreibungsfrist aufmerksam machen. Wir freuen uns jetzt schon auf die nächste Preisverleihung in Präsenz auf dem Historikertag 2023 in Leipzig.
Anfragen bezüglich des Epstein-Preises können Sie an epstein@osteuropa-historiker.de senden.
Der VOH wendet sich gemeinsam mit der DGO, der SOG und der GTOT in einem öffentlichen Appell an die DFG und die Politik und weist auf die dringliche zeitliche Ausweitung der Unterstützung von laufenden Projekten sowie auf die gebotene Flexibilität bei der Evaluation von Projektergebnissen hin. Die DFG soll ihrerseits dabei von Bund und Ländern verstärkt finanziell unterstützt werden. Den Appell vom 02.03.2021 finden Sie hier.
Spendensammlung des VOH für verfolgte Historiker*innen aus der Republik Belarus:
Angesichts der Repressionen des Regimes von Lukaschenka gegenüber Studierenden, Lehrenden und Wissenschaftler*innen hat der VOH zu Beginn des Jahres 2021 zu einer Spendensammlung für eine Gruppe von betroffenen Historiker*innen aufgerufen. Es ist ein Betrag von 8.868 Euro zusammengekommen, für den wir allen Spender*innen ganz herzlich danken!
Die fraglichen Historiker*innen sind aus politischen Gründen entlassen worden oder haben aus Solidarität und aus Protest ihre Stellen gekündigt und versuchen jetzt den wissenschaftlichen Neuanfang, ob in Belarus selbst oder im polnischen und litauischen Exil. Die gesammelten Spenden dienen der Weiterführung ihrer wissenschaftlichen Forschungsprojekte und sind ein Zeichen der Solidarität von Kolleg*innen für Kolleg*innen. Gerne würden wir ausführlicher über die Projekte der Historiker*innen und ihre Dankbarkeit berichten. Die unerbittliche und unberechenbare Repression des Regimes, das allein noch willkürlich straft und das Land von der Außenwelt imaginierter Feinde isoliert, zwingt uns jedoch, die Empfänger*innen an dieser Stelle mit Anonymität zu schützen. Uns ist bewusst, dass dies in einem krassen Gegensatz zu Gepflogenheiten von Spendensammlungen steht. Wir gewähren diesen Informationsschutz allein im Interesse der Sicherheit der Empfänger*innen. Diese nötige Vorsicht hat uns auch dazu bewogen, die gespendeten Gelder in vier zeitlich gestaffelten Trachen zu dreimal je 2.500 Euro und zuletzt 1.368 Euro zu übermitteln.
Gerichtsurteil gegen Barbara Engelking und Jan Grabowski:
Der VOH schließt sich nachdrücklich der Kritik des VHD am juristischen Vorgehen gegen Barbara Engelking und Jan Grabowski an. Über die Angemessenheit fundierter wissenschaftlicher Forschungsergebnisse darf nicht vor Gericht entschieden werden:
https://www.historikerverband.
Covid19-Pandemie:
Der VOH appelliert gemeinsam mit der DGO, dem Verband der deutschen Slavistik und der Südosteuropa-Gesellschaft an Forschungsförderinstitutionen für eine Abfederung der Negativfolgen der Corona-Pandemie, insbesondere für Forschungsprojekte von Doktorand*innen und Postdocs. Den Appell vom 11.02.2021 finden Sie hier.